Der Sieg des Volksbegehrens Artenvielfalt in Bayern zeigt, dass Volksentscheide Überkommerzialisierung stoppen können – eine Vorlage zur GroKo-Diskussion Bundesweites Volksbegehren – und Schlüsselelement einer fairen Marktwirtschaft. Ein Blick in das gerade erschienene Buch „Zähmt die Wirtschaft“.
Als ob es noch eines Beweises bedurft hätte: Mit durchschlagendem Erfolg bot das bayerische Volksbegehren „Artenvielfalt & Naturschönheit“ den immer radikaleren Monokulturen der landwirtschaftlichen Großbetriebe die Stirn. Es ist nun das vierte Mal, dass der bayerische Wähler mit einem Volksentscheid die ausufernde Kommerzialisierung von Wirtschafts-Sektoren stoppt. Pionier war 1990 „Das bessere Müllkonzept“, das den Beginn von Abfalltrennung und Recycling gegen das immer zentraler werdende Geschäft mit großen Verbrennungsanlagen einläutete. Die begleitenden harten parteipolitischen Machtspiele gaben dann den Anstoß zur Gründung von Mehr-Demokratie e.V. durch Gerald Häfner und seine Mitstreiter.
Beim Volksbegehren „Gentechnikfrei“, sieben Jahre später, erreichte der damals 30-jährige Landtagsabgeordnete Markus Söder trotz großer Proteste von Chemie- und Agrarindustrie die direkte Annahme des Begehrens ohne Gegenvorlage. Beim Begehren „Für echten Nichtraucherschutz“ organisierte er dann als Minister für Umwelt und Gesundheit auf Drängen von Gastronomie und Tabakindustrie einen Gegenentwurf, musste aber eine Niederlage im anschließenden Volksentscheid erleben. Es sind Erfahrungen, die beim Sieg des Begehrens „Artenvielfalt“ eine Rolle gespielt haben dürften.
Es geht nicht nur um Bayern
Diese Beispiele zeigen: Wenn es der Politik nicht gelingt, ausufernde Kommerzialisierung durch Gesetze zu begrenzen, dann sind es Volksbegehren und Volksentscheide, die eine zu gierige Wirtschaft zähmen können. Volksentscheide – mit Fachwissen vorbereitet – sind deshalb ein entscheidendes Element einer ökosozialen Marktwirtschaft. Diese werden uns aber nun seit Jahrzehnten auf Bundes- und Europaebene trotz vieler guter Erfahrungen vorenthalten. Die Konsequenz davon ist eine nun schon seit Jahren übertrieben einseitige Wirtschaftsfreundlichkeit der Bundesregierungen, was besonders bei den Misserfolgen bei der Abwehr des Klimawandels sichtbar wird.
Im Rückblick werden die Schulstreiks verständlich
Immer wieder hatte die Bundesregierung den Wünschen der Wirtschaft nachgegeben. Im Ergebnis steht Deutschland, das eigentlich ein Vorbild in Sachen Klimaschutz sein möchte, bei der CO2 Reduktion heute besonders schlecht da – und dies trotz immer lauterer Warnungen der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. Es ist eine Schande, dass nun Schüler ihre Schulstunden opfern und uns mit ihrem zivilen Ungehorsam wachrütteln müssen. Die Schüler-Streiks zeigen: Die Handlungsdefizite unserer Demokratie und die enorme Kraft der weltweiten Lobbystrukturen sind die entscheidenden Schwachpunkte der politischen Steuerung hin zu einer Werteorientierung der Wirtschaft.
Die unverändert destruktiven, um nicht zu sagen, brutalen Methoden der weltweiten Öl- Lobby haben mich trotz der Warnungen in meinem ersten Buch Plateau 3 dann doch überrascht. Ausführlich recherchiert, zeigt nun „Zähmt die Wirtschaft“ den globalen Krimi, wie die Energie- und Automobil-Industrien die notwendige Transformation unserer Energiekonzepte hintertreiben – und es führt eindringlich die Mutlosigkeit der politisch Verantwortlichen vor Augen. Das Buch ist eine gut lesbar geschriebene Zusammenfassung für all jene, die zu den Problemen unserer Marktwirtschaft und Demokratie informiert sein wollen, übrigens auch für Lehrkräfte und Politiker, die um den richtigen Weg ringen.
Volksentscheide hätten da längst gegenhalten können. Denn die sechs Forderungen der Schülerstreiks – beispielsweise CO2 Steuer oder beschleunigter Kohleausstieg – sollten besser frühzeitig per Volksentscheid als mit Verschleppung und späten politischen Kompromissen entschieden werden. Die krassesten Auswüchse einer gierigen Marktwirtschaft kann eben nur der Volksentscheid stoppen – wie diese Erfahrungen zeigen.
Eine faire Marktwirtschaft braucht Anstand von innen
Die Frage ist allerdings, ob solche gelegentlichen Volksinitiativen genügen, um trotz der Schwäche unserer Politik einen Kulturwandel der Marktwirtschaft zu erreichen. Denn wie Umfragen immer wieder zeigen: Eine Mehrheit will eine weniger gierige Marktwirtschaft mit ausgewogenerer Gemeinwohlorientierung, auch wenn es ein bisschen mehr kostet. Ich nenne das eine faire Marktwirtschaft – begrifflich umfassender als die Floskel „ökosozial“. Mit strengen gesetzlichen Regelungen allein, gleich ob durch Regierungen oder durch Volksentscheide, entsteht eine faire Unternehmenskultur wohl nicht. Es muss auch die Bereitschaft zum Anstand von innen mithelfen. Die Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht, denn die Versprechen der Unternehmen zu Klimaneutralität, Artengerechtigkeit, fairen Produktionsketten sowie bio- und ökologischem Wirtschaften haben enorm zugenommen. Sie sind heute ein bestimmender Teil des Wettbewerbs um den Kunden.
Noch ist das alles ungeordnet, ein Wildwuchs ohne Hinterfragen des Tiefgangs all dieser Label, Siegel und Zertifikate. Allein über 100 davon versprechen Klimaeffizienz. Aber die ausufernde Verwendung zeigt deren Kraft. Es könnte der Schlüssel sein, zum ganzheitlichen Wandel unserer Marktwirtschaft hin zu einer höheren Kultur und mehr Fairness gegenüber Mensch und Natur. Es zeigt, dass die Politik Ordnungspflichten für diese schönen bunten Zeichen schaffen könnte, ja ganze Wirtschaftssektoren ordnen könnte mit nur einem die Qualität definierenden Gesetz als Alternative zu Mikromanagement mit tausenden von Verordnungen. Aus bewährter Freiwilligkeit Einzelner würde eine Pflicht für alle.
Pflichten für alle statt unverbindlicher Versprechungen
Schritte in diese Richtung gibt es bereits. Die von Bundesministerin Julia Klöckner mit der Ernährungsindustrie ausgehandelten freiwilligen Selbstverpflichtungen zur Zuckerreduzierung oder der von Entwicklungsminister Müller geplante grüne Knopf für Fairness in der globalen Textilindustrie sind der richtige Ansatz. Allerdings sind sie schon durch ihre Freiwilligkeit und das Fehlen von Sanktionen zum Scheitern verurteilt. Erst der Mut, solche Label für den Vertrieb in Deutschland verpflichtend zu machen, schafft wirkliche Veränderung. Es sind dann sektorspezifische, bindende Verpflichtungen für alle, mit Auswirkungen für alle, und nicht für nur einige.
Die Idee ist nicht neu, die OECD schlug verstärkte Selbstregulierungen von innen heraus als Alternative zu Gesetzen schon vor vielen Jahren vor. Aber dies konnte die Wirtschaft über Jahre erfolgreich verhindern, auch deshalb, weil die Medien die riesige Kraft der Label, Siegel und Wertekodizes nicht verstanden hatten und darum den Widerstand der großen Wirtschaftsverbände nicht in der Öffentlichkeit transparent machten.
Die Schülerstreiks sind ein Weckruf. Aber lösen müssen die Probleme die Älteren. Das bedeutet für jeden von uns „Sich einmischen“ gegen politische Mutlosigkeit, gegen ausufernden Lobbyismus und eine gierig unbewegliche Wirtschaft.