Die Mutlosigkeit der Politik und das daraus abgeleitete Primat der Schonung aller Betroffenen – und vorrangig der Wirtschaft – kann kein Grundprinzip sein für erfolgreichen Klimaschutz.
Es war als großer Wurf angekündigt. Man konnte erwarten, dass neue Prinzipien für eine zukünftig emissionsarme Marktwirtschaft und Lebensweise die Leitlinie sein würden. Bei so klarer Vorgabe überrascht die Kleinteiligkeit, die das neue Klimaschutzgesetz charakterisiert.
Es war wohl die bevorzugte Leitlinie, niemanden weh zu tun, alle Kosten dem Bürger aufzubürden und der Industrie ein breites Umrüstungsprogramm zu bieten, ohne deshalb die Wirtschaft in irgendeiner Weise mit in die Pflicht zu nehmen.
Dabei liegen die Prinzipien, nach denen die Politik praktisch anwendbare Gesetze gestalten müsste, seit langem auf der Hand. Aber diese Prinzipien sind naturgemäß wirtschaftsfeindlich und beenden auch manche Bequemlichkeit. Das ist das typische Szenario, das die Ängste der Politiker um ihre Wiederwahl aktiviert und zudem kräftige Lobbyarbeit der Wirtschaft auslöst. Wirksame Leitlinien, die eine Änderung erzwingen, wollte die Wirtschaft aber nicht. Denn sonst müsste das Gesetz anderen Prinzipien folgen, wie an einigen fast offensichtlichen Beispielen aufzeigbar:
Dezentral und autark
Es ist eine der typischen Eigenschaften Erneuerbarer Energien, dass sie kleinteilig anfallen und entsprechend über das Land verteilt sein können. Insbesondere wenn man ländliche Bereiche nimmt, liegt es nahe, das autarke Eigenheim oder auch das autarke Dorf in den Mittelpunkt zu stellen. Das bedeutet, dass aus unseren Ziegeldächern großteils Solardächer werden und dass das eine oder andere Windrad den zusätzlichen Energiebedarf sichert.
Mit dieser Priorität wäre nicht nur eine autarke Stromversorgung und Solarheizung im Haus, sondern auch die weitgehend kostenfreie „Betankung“ des eigenen Fahrzeugs möglich und damit die Lösung für all die Pendler, die sich im Moment auf eine höhere Pauschale freuen und weiter mit fossiler Energie in die Städte brausen. Zugleich wäre es eine Befreiung von der Fessel an die Energiekonzerne, Voraussetzung für ein emissionsarmes Leben. Nicht ohne Grund ist es eine langjährige Forderung vieler Wohngemeinschaften und Bürgergenossenschaften und auch interessant für viele kleinere Betriebe des Mittelstands, der Landwirtschaft und des Handwerks und somit ein sehr interessantes Konzept.
Die konsequente Förderung autarker Siedlungsstrukturen ergibt sich also als eine Spitzenpriorität – ist aber zugleich der größte Feind der dominierenden Energiekonzerne. Denn im Mittelpunkt ihres Geschäftsmodells stehen große Zentralsysteme, Kohlekraft- oder noch lieber Atomkraftwerke oder große Windparks und riesige Solarflächen. Zusammen mit den riesigen „Stromautobahnen“ ergibt sich eine ideale Nutzung ihrer bisherigen Vertriebs- und Verteilungssysteme. Es ist unverkennbar, dass die Energiekonzerne – wie es schon bei der Umgestaltung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) sichtbar war – das bessere Ohr der Bundesregierung hatten als die grüne Zivilgesellschaft oder gar die protestierende Jugend.
Aber: dezentrale autonome Systeme sind eine zwingende Forderung der Kleinteiligkeit der Erneuerbaren Energien. Kombiniert mit starken Speichersystemen garantieren sie kostengünstigen Strom und preiswerte Mobilität. Ob dabei ein Anschluss an das öffentliche Stromnetz erforderlich bleibt – auch für die Abnahme überschüssiger Energie – kann aus der individuellen Situation entschieden werden. Die Entlastung der großräumigen Infrastrukturen ist in jedem Fall enorm und zukunftsgerecht, wenn man an die Zunahme der Anforderungen an die Stromverteilungsnetze denkt. Regional autark wäre hier Trumpf.
Die Wirtschaft in die Pflicht nehmen
Es ist ebenfalls einfachste Logik, dass eine postfossile Marktwirtschaft nur entstehen kann, wenn alle Unternehmen und Berufe sich baldigst Pläne machen, wie sie ein Null-Emissionsziel erreichen wollen. Dabei liegt es auf der Hand, bei dieser Aufgabe die flächendeckend vorhandenen Strukturen der Berufs- und Wirtschaftskammern mit einzubeziehen. Es entspräche schon heute ihrem gesetzlichen Auftrag, branchenspezifisch entsprechende Regeln zu erarbeiten. Dabei allerdings müsste die schon mehrfach vorgeschlagene Mitbestimmung der grünen Zivilgesellschaft und der Wissenschaft einbezogen sein, damit sich Wirksamkeit mit Praxistauglichkeit kombinieren.
Diese von der EU-Kommission vor einigen Jahren geforderte Stärkung der Selbstorganisation von Wirtschaftssektoren ist unumgänglich, wurde bisher aber von der Lobby der Wirtschaftsverbände verhindert. Sie sehen sich lieber als Behinderer denn als Unterstützer jedes Wandels.
Aber deren Kulturwandel hin zu einer mitarbeitenden und auch überwachenden Organisation kann vom Gesetzgeber verordnet werden – und würde manche Bürokratie und Flickschusterei kleinteiliger Gesetzgebung verhindern. Nach außen sichtbar müsste etwa eine klare Definition das Wortes klimaneutral entstehen, das sich bereits in zahlreichen Wertesiegeln und Werbespots findet ohne irgendeine Verlässlichkeitsgarantie und heute der Beliebigkeit jedes Unternehmers überlassen ist.
Nur wenn die Emissionsfreiheit präzise definiert ist, können die Kunden dies bei ihren Konsum- und Investitionsentscheidungen berücksichtigen und können die Fortschritte des Veränderungsprozesses jedes Unternehmens beurteilt werden. Würde die Wirtschaft in dieser Weise von der Basis her in die Pflicht genommen, wäre eine rasche Trendwende gegen den Einsatz fossiler Energien zu erwarten. Klar allerdings ist auch, dass die Wirtschaftsverbände sich da nicht aufdrängen werden. Für einen solchem Kulturwandel der Kammern und Verbände muss ein gesetzlicher Auftrag vorgegeben werden.
Das Braunkohletheater
Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass der Ausstieg aus der Braunkohle der größte Hebel bei der Emissionseinsparung ist und dass dieser Ausstieg bis 2030 erfolgt sein muss, wenn unser Beitrag wenigstens zum 2° Ziel wissenschaftskonform sein soll.
Leicht zu durchschauen sind die Hintergründe des Hinausschiebens bis 2038. Denn das lässt zwanzig Jahre Zeit, um die teuren Investitionen im Braunkohletagebau abzuschreiben. Dass dort die Automatisierung besonders hoch ist, erkennt man schon an der erstaunlich niederen Zahl von circa 10.000 betroffenen Arbeitsplätzen. Diese Zahl wäre bis 2030 ohne weiteres durch Strukturmaßnahmen aufzufangen. Und sie ist zugleich beschämend niedrig, wenn man bedenkt, dass der Untergang unserer Solarmodul-Industrie circa 80.000 Arbeitsplätze vernichtet hat, ohne dass dieser primär durch kleine und mittlere Unternehmen bestimmte Wirtschaftssektor die Politik in irgendeiner Weise gerührt hätte.
Wenn dann die Kanzlerin in der Einleitung ihrer Rede zum Klimaschutzgesetz sagte, dass sie Naturwissenschaftlerin sei und deshalb den Appell von Greta Thunberg „Folgt der Wissenschaft“ besonders ernst nehme, dann beschleicht einen das unangenehme Gefühl, dass die rhetorische Schulung und die Praxis der DDR, Rede und Handeln nicht deckungsgleich zu halten, hier noch fortwirkt. Das merkt man auch am kaum merkbaren Anfang der CO2-Bepreisung mit zehn Euro, während die wissenschaftliche Empfehlung des Potsdamer Klimainstituts 35-50 € als Einstieg lautet und klarmacht das mit den derzeitigen Preisvorgaben die Ziele des Pariser Abkommens auf keinen Fall erreichbar sind.
Kaum diskutiert, aber dennoch bemerkenswert ist dabei auch, dass im Vorschlag der SPD zur CO2-Steuer die Kohle fehlte, so, als sei ihre Schonung das oberste Gebot. Dass nun nur der Emissionshandel und keine eindeutige CO2-Steuer kam, ist hoffentlich nur als Verhandlungsmasse für den Vermittlungsausschuss nach der angekündigten Bundesrats-Ablehnung gedacht. Ernst nehmen kann diesen Einstiegspreis und ihn dann nur als Zertifikate-Handel wohl niemand.
Schließlich haben wir alle dessen schwächlichen Start und seine Erfolglosigkeit in Erinnerung. Die Messgenauigkeit ist fraglich, genauso wie die Rechtssicherheit etlicher beteiligter EU-Staaten. Da im Übrigen ein reines software-Produkt gehandelt wird, ist die Hackeranfälligkeit offensichtlich. Dass der internationale Handel mit diesen Zertifikaten außerdem eine Einladung zum Umsatzsteuerbetrug ist, hat das ZDF kürzlich eindrucksvoll recherchiert, ohne politische Konsequenzen. Dass aber der so logisch klingende Zertifikate-Handel der Liebling der Wirtschaft ist, wissen wir seit langem.
Vorrang und Freiheit für die erneuerbaren Energien
Das Gesetz zur Förderung der Erneuerbaren Energien – das EEG – war eines der Beispiele, wie die Energiekonzerne ein wirksames Gesetz zerschlugen. Statt Vorrang und Nutzung der hohen Investitionsbereitschaft setzte man auf Deckel, Verbot großflächiger Solarkraftwerke, Ausschreibungen ohne Realisierungspflicht, Kompensation für Abschaltung von Windrädern und so fort, statt die hauptsächliche Schwäche dieses Gesetzes zu korrigieren: nämlich die tageszeitunabhängige Vergütung durch eine tageszeitabhängige zu ersetzen – gleichbedeutend mit der zwingenden Notwendigkeit zur Speicherung von Energie.
Bei allen Novellierung des EEG ständig auf die Wünsche der Konzerne gehört zu haben, ist letztlich der Hauptgrund für die verfehlten Klimaziele. Es wird niemand überraschen, dass ein Klimaschutzgesetz nur mit gleichzeitig erhöhter Förderung der Erneuerbaren Energien wirksam sein kann, wenn also all diese Beschränkungen aufgehoben werden und Erneuerbare Energien eindeutigen Vorrang erhalten.
Aber die Konzerne lieben dieses verdünnte EEG, das ihre Wirtschaftlichkeit erheblich verbesserte, wenn auch zu Lasten der Bürger und so fehlt die EEG-Überarbeitung im Klimaschutzgesetz. Bayern und einige andere Bundesländer wollen dennoch über den Bundesrat die Novellierung erreichen – was allerdings erneut unterstreicht, wie handlungsunfähig die Große Koalition bei so zentralen Gesetzesfragen wurde.
Klimaschutz in das Grundgesetz
Beim heutigen Stand der Wissenschaft über die Gefahren für unsere Zivilisation wäre die Aufnahme ins Grundgesetz eine Selbstverständlichkeit. Klimaschutz wollte übrigens die CSU in die Bayerische Verfassung aufnehmen, aber die notwendige 2/3- Mehrheit scheiterte an der überraschenden Weigerung der Grünen, die darin primär imagebildende Manöver und weniger einen echten Handlungskern sahen.
Auf Bundesebene dürften die Rechtskenntnisse auch bei den Grünen realitätsnah genug sein und damit wäre die Aufnahme wohl mehrheitlich gesichert. Damit wären beispielsweise klimaunfreundliche Subventionen von vornherein verfassungswidrig und per Gericht zu untersagen. Bleibt zu hoffen, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Die Wirtschaft allerdings wird auch das nicht unterstützen.
Im Fazit bleibt, dass die Mutlosigkeit der Politik und das daraus abgeleitete Primat der Schonung aller Betroffenen – und vorrangig der Wirtschaft – kein Grundprinzip sein kann für erfolgreichen Klimaschutz. Die grüne Zivilgesellschaft weiß das, und die Jugend natürlich auch. Sie werden nicht dulden, dass Deutschland weiterhin so schwächlich regiert wird.