Dummheit ist vielleicht verzeihlich — die Fakten zu kennen und sie zu ignorieren ist es nicht. Firmen wie Shell und Exxon gaben in den 80er-Jahren Studien zu den Risiken des Klimawandels in Auftrag. Die Studien sagten voraus, was heute offensichtlich ist: eine kontinuierliche und drastische Erwärmung und katastrophale Folgen für uns alle. Die Vorstände der Energie-Konzerne weigerten sich jedoch, die daraus folgenden Maßnahmen zu ergreifen. Ihnen war das Hemd näher als der Rock, kurzfristige Profite schienen wichtiger als das Überleben der Menschheit. Anstatt sich zu schämen, entsendet die Fraktion der Leugner jedoch bis heute Influencer in die Foren und Talkshows und versucht so, Zweifel zu schüren und wirksame Maßnahmen zu verzögern.
„31 Seiten Schocklektüre“ — so hatte Spiegel Daily eine Studie betitelt, deren Autoren im Auftrag der Firma Shell die Risiken des Klimawandels beschrieben. Das war 1986.
Die Studie war verdammt präzise. Nicht nur die kontinuierliche Erwärmung, auch die Zunahme extremer Wetterereignisse und Gefahren für die Bewohnbarkeit weiter Teile des Globus wurden als sehr wahrscheinlich vorhergesagt — ziemlich zutreffend, wie wir heute wissen.
Die Studie zeigte auch, dass der einzige verantwortbare Weg aus dieser Bedrohung die Aufgabe der fossilen Brennstoffe war, des Geschäftskerns von Shell.
Aber Shell entschied sich dagegen, gegen den Rat seiner eigenen Wissenschaftler, die einen „nach vorne schauenden Ansatz gemeinsam mit den Regierungen“ empfahlen. Die Vorstände erklärten das Dokument als streng geheim und beschlossen eine Politik des organisierten Anzweifelns und Zuwartens. Schließlich war der wissenschaftliche Konsens noch nicht hundertprozentig.
Also verschwand die Studie in den Safes, Forschungsaufträge für andere Energie-Technologien wurden nicht erteilt. Ein Einzelfall? Nein, auch der Konkurrent Exxon beobachtete besorgt die Diskussion über den Klimawandel schon ab den 1970er-Jahren und ließ eine analoge Studie anfertigen, die zu den gleichen Ergebnissen kam.
Aber auch der Exxon-Vorstand korrigierte nicht die Priorität von Öl und Gas im Geschäftsmodell, sondern begann stattdessen systematisch bei Regierungen und Verbänden Skepsis zu säen an den noch nicht ganz sicheren Forschungsergebnissen.
In den Jahrtausenden hatte es immer wieder Eis- und auch Warmperioden gegeben. Natürliche Ursachen als wahrscheinlich zu erklären, hatte hohe Glaubhaftigkeit und entsprach der historischen Erfahrung. Wie in den USA üblich, waren die Vorstände durch ihre hohen Boni, orientiert am Aktienwert, entlohnt, eine typische Motivation zu Kurzfristigkeit und Werteverachtung.
Ängste und Fake-News als Lobby-Waffe
Gemeinsam mit Shell, den texanischen Öl-Milliardären Gebrüder Koch und dem Lobbyverband der Öl-Industrie gründete Exxon die Global Climate Coalition. Diese global — nicht nur in den USA — tätige Lobbyorganisation zog gegenüber Regierungen und Journalisten die meteorologischen Vorhersagen in Zweifel und führte diesen die enormen volkswirtschaftlichen Risiken des Ausstiegs aus Öl und Gas als den derzeit preiswertesten Energieformen vor Augen.
Die geschürten Ängste zerstörten den anfänglichen Konsens der Regierungen, das Problem anzugehen, insbesondere auch in den USA. Die 1992 durch die Unterschriften unter die Deklaration von Rio durch 154 Staaten ausgedrückte Gemeinsamkeit brach zusammen und machte fünf Jahre später 1997 die erste Klimakonferenz der UN in Kyoto zu einem Fiasko.
Gerade einmal auf 5 Prozent Emissionsreduktion bis 2012 konnten sich die teilnehmenden Staaten nach mehrfacher Konferenzverlängerung einigen, ein Nichts im Vergleich zu den von der Wissenschaft beschriebenen Risiken.
Auch Vize-Präsident und Präsidentschaftsbewerber Al Gore hatte die Deklaration von Rio unterzeichnet und nannte die Global Climate Coalition 1999 in seinem Wahlkampf kriminell, was ihn vermutlich Wählerstimmen gekostet hat. Das Präsidentenamt verfehlte er nur knapp gegen den an Umweltthemen nicht interessierten Ölunternehmer George Bush jun. — eine historische Zäsur im Umweltverhalten der USA.
Nach Bushs Amtsantritt löste sich die Global Climate Coalition offiziell auf. Eine Begründung war, dass nun ein Kenner der Ölbranche für deren gesicherte Zukunft sorgen werde. Aber die Auflösung dieser Organisation war nur ein Schachzug gegen zu starke Sichtbarkeit. Jetzt wurden mehrere Stiftungen gegründet, die bis heute systematisch Zweifel am dominanten Anteil unserer Zivilisation am Klimawandel säen.
Insgesamt ist all das nicht nur eine dramatische ethische Fehlleistung der Industrie, sondern ist — schaut man auf die Gefahren des Klimawandels — vermutlich das größte Wirtschaftsverbrechen, das die Menschheit je erlebt hat. Zusammen mit der Wahlniederlage von Al Gore zerstörte es die Fähigkeit der westlichen Zivilisation, mit der Klimaherausforderung korrigierend umzugehen. Leider ist das unverändert der Fall.
Seit nunmehr zehn Jahren besteht nun weltweit Konsens der Wissenschaftsorganisationen, dass der Großteil des Klimawandels durch die Emissionen unserer Zivilisation bedingt ist und maximal 20 Prozent natürliche Ursachen haben könnte. Aber die Gegenmaßnahmen bleiben bescheiden, wie gerade das neue Klimaschutzgesetz auch für Deutschland unterstreicht.
Warum nur konnte der industrielle Widerstand so erfolgreich sein? Es gehört doch zu den intellektuellen Stärken unserer Kultur, Risiken vorzubeugen. Normalerweise lösen Berichte über Risiken weltweite Handlungs- und Verbotsforderungen aus, wie die aktuelle Glyphosat-Diskussion beispielhaft zeigt. Nicht so beim Klimawandel.
Der Klimawandel ist Glaubenssache
Die Antwort liegt in der wissenschaftlichen Unsicherheit bei der Vorhersage der Wetterentwicklung und damit auch der Klimaentwicklung. Denn die Wetterabläufe unterliegen der sogenannten Zufalls-Theorie der Physik, sind also naturwissenschaftlich nur als Wahrscheinlichkeiten zu berechnen.
Das gilt verstärkt für die Vorhersage langfristiger Trends. Hunderte von Parametern wie die Erdoberfläche, die Schwankungen der Sonneneinstrahlung durch Tages- und Jahreszeit, die großen Meeresströmungen und statistische Annahmen für die Wolkenbildung müssen gewichtet werden und in die Modellrechnungen eingehen. Ein typischer Fall für „Big Data“ und große Rechenzentren — je größer, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit korrekter Vorhersagen.
Die mittlere Zunahme der Erdtemperatur ist dabei mit relativ hoher Sicherheit zu berechnen, aber für die regionalen Trends bleibt es immer bei Wahrscheinlichkeiten. Die Sicherheit über den zivilisationsbedingten Anteil sah man vor 20 Jahren noch bei Wahrscheinlichkeiten von 70 oder 80 Prozent.
Erst heute geht man mit 98-prozentiger Sicherheit davon aus, dass nur zwischen 10 und 20 Prozent der Klimaveränderungen natürliche Ursachen haben, aber 80 bis 90 Prozent durch unsere Zivilisation und deren Emissionsgase bedingt sind und dies eine erhebliche Zunahme der Extrema und großräumiger regionaler Veränderungen nach sich ziehen wird.
Was ist „Wahrheit“?
Das Fehlen des experimentellen, harten Nachweises und die Bestätigung nur in Modellrechnungen machen es leicht, Zweifel am Klimawandel zu säen. Aber genau das wurde und wird — wie erwähnt — von ökonomisch interessierten Kreisen lange genutzt. Journalisten und Redaktionen führt das in ein Dilemma. Denn es ist journalistische Tradition, zu wichtigen Aussagen auch Gegenmeinungen zu hören.
Gemäß der obersten Maxime des Kodex des Presserats ist Journalismus zur Wahrheit verpflichtet. Aber gerade, wenn diese unsicher ist, ist die Tradition, auch Gegenmeinungen zu hören, der nachvollziehbar logische Ausweg. Die Frage heute ist allerdings, ob man dieser Regel noch folgen sollte, wenn sich weltweiter wissenschaftlicher Konsens gebildet hat, oder ob man mit nicht fundierten Gegenmeinungen nur die Verbreitung von Fake-News unterstützt.
Die Situation heute
Es ist heute weltweiter Konsens, dass der Klimawandel nicht nur eine mittlere Erderwärmung, sondern die Zunahme von extremen Wetter-Ereignissen und Veränderungen verursacht, wie beispielsweise das Abschmelzen der großen Eisflächen, das Wandern der Wüstengebiete, das Auftauen der Permafrost-Sümpfe Sibiriens. Das entspricht auch den Beobachtungen der letzten Jahre als quasi experimentelle Bestätigung.
Alle anderen Theorien, etwa dass es sich um primär natürliche Veränderungen handle, sind widerlegt. Auch da besteht Konsens.
Die deshalb rasch weiter zunehmende öffentliche Beunruhigung über den Klimawandel lässt die Zweifler in den Talkshows und den meisten Printmedien inzwischen selten werden. Verschwunden sind die Bemühungen der beteiligten fossilen Industrien allerdings nicht.
Es scheint sich ein neues Aktivitätsniveau mit neuen Taktiken einzustellen, wie beispielsweise die Nutzung der Kommentarfunktionen bei Büchern und sozialen Netzwerken sowie den Onlineausgaben der Nachrichtendienste.
Erkennbar sind solche Einwürfe meist an Schlagworten wie „ideologische Panikmache“, „pseudowissenschaftlich“, „keine Nachweise“, „gefälschte Statistiken“ und „Klimawandel gab es schon immer“ oder schlicht der Ablehnung der Aussagen des IPCC, des von der UN koordinierten Dachverbandes der weltweiten Klimaforschung.
Analysiert man beispielsweise bei Amazon die Kommentare zum Buch „Selbstverbrennung“ von Professor Hans Joachim Schellnhuber — Deutschlands bekanntestem Klimaforscher und langjährigem Vorsitzenden des Rates der Bundesregierung für Nachhaltige Entwicklung — und damit einem natürlichen Feind aller Skeptiker — so sind dort von den 43 Kommentaren 40 Prozent (17 Kommentare) vernichtend, fast alle der Skeptiker-Gruppe zuzuordnen — bei über 50 Prozent (23 Kommentare) positiven Bewertungen.
Der Wissenschaftsjournalist Harald Lesch erreicht mit seinem Buch „Die Menschheit schafft sich ab“ die doppelte Zahl an Bewertungen bei ebenfalls überwiegend sehr positiven Kommentaren (58 Prozent), und wird mit nur 20 Prozent negativen nicht ganz so aggressiv bekämpft. Die Kippelemente des Klimas, die Professor Schellnhuber aufzeigt, sind eben das größte Reizwort für Skeptiker.
Die Ende 2018 bekannt gewordene erneute Spende der Brüder Koch in Höhe von circa 10 Millionen US-Dollar zur Förderung der Leugnung des Klimawandels scheint also gut nachzuwirken.
Wie bei allem, was Fanatismus erzeugen kann, ist natürlich auch hier nicht feststellbar, welche Kommentatoren geschult oder gar gekauft sind und welche dem wissenschaftlichen Konsens aus Besserwisserei widersprechen.
So unterscheidet auch der ausführliche Wikipedia-Beitrag Leugnung der menschengemachten globalen Erwärmung (1) zwischen den Skeptikern, zahlreichen von Laien organisierten Gruppen und den von der Industrie organisierten Leugner-Gruppierungen.
Der Wikipedia-Beitrag verfügt im Übrigen über ein ausführliches Literaturverzeichnis und ermöglicht so eine Vertiefung in das Thema. Aber es wird auch klar, dass Klimaleugner keineswegs nur zu dieser Gruppierung gehören, sondern die bei Glaubensfragen übliche Breite unterschiedlicher Fanatismen und unterschiedlich ausgeprägter Skepsis besteht und dieser Teil schlicht als durch die Meinungsfreiheit geschützt angesehen werden muss.
Die vielen bedenklichen Formen dieser Fake-News — letztlich einer Volksverdummung und ihre Abgrenzung zur Meinungsfreiheit — müssen wir allerdings beherrschen lernen.
Diese Streiks hätte es nicht gebraucht
Schaut man nun auf die enormen Sorgen der jüngeren Generation über die erkennbar werdenden Bedrohungen, so wird die Schwere des ethischen Versagens dieser Ausbeuter fossiler Energieträger, aber auch der Politik offensichtlich.
Vor 30 Jahren war bequem Zeit, die notwendigen neuen Technologien und Lebensstil-Prioritäten in kleinen, aber regelmäßigen Schritten einzuführen. Diese Chance wurde versäumt. Nun ist es 5 nach zwölf, etliche der großen Veränderungen sind bereits irreversibel.
Die jüngere Generation wird mit einem „weiter so“ nicht mehr ruhig zu halten sein. Gerade das provokante, schwache „Klimaschutz-Gesetz“ könnte einen heißen Herbst provozieren.