Anlass ist meine Berufung in den Beirat der Beratungsgruppe „StiftungsMentor“ (https://stiftungsmentor.de). Ihre Ziele sind die Förderung der Stiftung von Familienvermögen und des Stiftungsgedankens allgemein.
Es klingelte. Eigentlich hatte ich nicht gestört werden wollen, jetzt morgens kurz nach 8 Uhr. Ich wollte mich mit meinem kaufmännischen Kollegen auf die Vorstandssitzung vorbereiten. Es war meine Sekretärin: „Da ist ein Herr Franz. Der ist so bestimmt und will sie sprechen. Ich trau mich nicht, ihn abzuweisen“. Es war Dr. Franz, der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Siemens AG, mein oberster Chef und, wie ich bald erfuhr, auch der „Stiftungskommissar“ der Carl-Zeiss-Stiftung. „Kommen Sie doch mal vorbei, es gibt einiges zu besprechen“. Rasch war ein kurzfristiger Termin gefunden, denn eine solche „Einladung“ erzeugt Neugier und Unruhe zugleich.
Im Gespräch kam er bald zum Punkt: Er suche für Carl Zeiss einen neuen Vorsitzenden des Vorstands und bot mir diesen Posten an. „Das Unternehmen braucht einen völligen Naturwandel. Es ist ein Stiftungsunternehmen und das verdirbt die Mitarbeiter.“ Ich lehnte zunächst ab, weil ich skeptisch bin zu Quereinsteigern. Sie kennen das Unternehmen nicht und bringen als einziges Asset Managementerfahrung, meistens Sanierungen, also eine Priorität des Kostenmanagement und nicht der Marktorientierung.
Deshalb dauerte mein Entschluss eine Weile. Aber in weiteren Gesprächen wurde klar, ja, dieses Stiftungsunternehmen brauchte einen Kulturwandel, einen Neuanfang. Und der musste von außen kommen. Aber Dr. Franz gestand: der Stiftungskommissar hat bei der Carl-Zeiss-Stiftung zwar die oberste Kontrolle über das Unternehmen, aber zur Berufung der Vorstände hat er nur ein Vorschlagsrecht. Die Berufung erfolgt gemäß dem 100 Jahre alten Statut durch den Wissenschaftsminister von Baden-Württemberg in Nachfolge des Universitäts-Beauftragten des damaligen Herzogtums Sachsen-Weimar. Und ohne Entscheidungsbefugnis war die externe Besetzung schwer, vage Versprechen genügten nicht für die Anwerbung aus fester Anstellung. Dr. Franz hatte deshalb wohl mehrere Absagen erhalten und griff nun in die Führungsriege der Siemens AG, letztlich ein „Insidergeschäft“ zwischen zwei unterschiedlichen Verantwortungen. Aber er hatte sich die Rückendeckung des Siemens-Vorstands geholt, wie mir später Dr. von Pierer bestätigte.
So kam ich zu Carl Zeiss und schon diese Berufung machte klar: Carl Zeiss war durch uralte Besonderheiten seines Statuts in eine Führungsschwäche geschlittert, die das Unternehmen an den Rand des Ruins führte, trotz eines enorm starken Markennamens – und trotz des priorisierten Ziel des Statuts, das Unternehmen auf Dauer zu erhalten.
Governance
Bei näherem Einblick wurde klar, dass zwar die Qualität einer Unternehmenskultur mit der Besetzung der Geschäftsführung beginnt, aber nicht jedes Stiftungsstatut dazu gute Voraussetzungen hat. Abbe, der Geschäftspartner von Carl Zeiss und Gründer der Stiftung hatte 1896 der Führungsfrage viel weniger Bedeutung gegeben als es der heutigen Zeit entspricht. Arbeitskräfte waren billig, die Erträge des Unternehmens sprudelten und Innovationskraft und technologische Führung waren entscheidend. Der wirtschaftliche Druck war zumindest für das Unternehmen Carl Zeiss nicht gegeben. Seine Mikroskope, Ferngläser und Optiken waren weltführend und bestimmten die Preise – und entsprechend mussten die Vorstände technischen Sachverstand und soziale Kompetenz haben bei vergleichsweise geringeren Ansprüchen an wirtschaftliche und strategische Optimierung und zur Einordnung des Unternehmens im globalen Wettbewerbsumfeld.
Vorstände wurden lebenslang bestimmt und waren entsprechend auch bei schwachem wirtschaftlichem Erfolg nicht abzulösen. Abbe hoffte damit die Zusammenarbeitsbereitschaft innerhalb des Vorstands zu festigen gegenüber den wohl schon damals bekannten politischen Machtkämpfen in Vorstandsorganen. Er gab die Berufung der Vorstände in die Hände des für die Universität Jena zuständigen Beamten des damaligen Herzogtums Sachsen-Weimar und zwar als Person mit dem klaren Auftrag, unabhängig von der Politik rein nach Eignung zu entscheiden. Schon dieses gekünstelte Berufungsverfahren zeigt, dass der „ideale“ Weg für Vorstandsberufungen nicht auf der Hand liegt. Aus diesem vergänglichen Konstrukt wurden in der Nachkriegszeit die Wissenschaftsminister von Baden- Württemberg und Thüringen als Berufende. Das war zwangsläufig eine politisch beeinflusste Aufsichtsstruktur, keine idealen Voraussetzungen für einen unabhängigen, rein kompetenz- bestimmten Ersatz der Eigentümerfunktion.
Dieser in einer Unternehmens-Stiftung notwendige Ersatz der überwachenden Funktion von Eigentümern und Aktionären bei der Berufung – und Abberufung – der Geschäftsführung scheint mit eine der herausforderndsten Festlegungen in einem Stiftungsstatut zu sein. Sieht der Stifter auf eine talentierte Nachfolgegeneration, wird sich die Frage durch die klassische Form der Familienstiftung beantworten lassen, mit dem Begabtesten als führendem Kopf. Fehlen jedoch geeignete Nachkommen oder will man keine Führung durch die Nachkommen, so stellt sich die Frage von Berufung und Kontrolle der Geschäftsführung als eine zentrale Aufgabe eines Statuts für den erfolgreichen Fortbestand von Unternehmen und Vermögen. Die Carl-Zeiss-Stiftung kam jedenfalls über diese Schwäche fast zu Fall. Aber auch andere Unternehmensstiftungen haben ähnliche Probleme. Bei der Zahnradfabrik Friedrichshafen/ZF liegt beispielsweise die Stiftungsaufsicht in den Händen des Oberbürgermeisters der Stadt mit zwangsläufig dominantem Lokalbezug. Auch die Führungskrise bei ThyssenKrupp findet letztlich ihre Ursache in ungenügenden Vorgaben zum Erfahrungshintergrund der Aufsichtsräte.
Die Reform der Carl-Zeiss-Stiftung
Die logische Konsequenz aus der Führungsschwäche bei Carl Zeiss war eine Stiftungsreform, die den Berufungsprozess neu ordnete und die Eignung der zu Berufenden für wirtschaftlich erfolgreiche Führung zur Priorität machte. Das entsprach dem schon erwähnten wichtigsten Ziel des Stifters, das Unternehmen auf Dauer zu erhalten. Die beiden Unternehmen Carl Zeiss und Schott, die bisher als Stiftungsbetriebe fungierten, wurden zu Aktiengesellschaften. Die Stimmrechte der Minister wurden an ein Dreiergremium mit wirtschaftlich erfahrenen Experten delegiert. Je ein Mitglied wird vom Stifterverband der deutschen Wissenschaft und eines vom Deutschen Industrie- und Handelstag vorgeschlagen, deren Präsidenten in aller Regel angesehene Unternehmer sind. Dieses Dreiergremium vertritt also den „Eigentümer“, die Stiftung, mit der Gewähr hohen wirtschaftlichen Sachverstands. Dieses Dreiergremium ist an die Zielvorgaben des Statuts gebunden, hat aber dennoch keinen Stiftungsexperten im Gegensatz zu beispielsweise ThyssenKrupp. Für die Beachtung und Umsetzung der Stiftungsziele sorgt die von den Ministern eingesetzte Stiftungsverwaltung. Die wirtschaftlichen Erfolge von Carl Zeiss, von Schott und der Carl-Zeiss-Meditec AG sind Indiz der Stärke dieser stark wirtschafts- orientierten Führung – und sie machten die Carl-Zeiss-Stiftung zwischenzeitlich zugleich zu einer der größten Wissenschaftsstiftungen Deutschlands – ganz im Sinne des Stifters.
Aus Sicht der Mitarbeiter und der Gewerkschaften fehlte allerdings die Mitbestimmung laut Betriebsverfassungsgesetz in dieser Kontrollstruktur. Die sogenannte „Unternehmensträger-Stiftung“ galt als veralteter Exot und war vom Gesetz nicht erfasst worden. Es bot sich also an, Zeiss und Schott in Aktiengesellschaften umzuwandeln im hundertprozentigen Besitz der Stiftung. Damit entstand ein mitbestimmter Aufsichtsrat für jedes Unternehmen und ein ganzheitliches Konzept einer Kontrolle der Unternehmensführung für Stiftungszweck und wirtschaftliche Führung und einer zeitgemäßen Mitbestimmung der Mitarbeiter nach den Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes. Das unverbindliche Beratungsorgan des Statuts, der „Arbeiterrat“ war abgelöst. Der hatte sich in der Frühzeit der Stiftung einmal bei Ernst Abbe beschwert, dass seinen Vorschlägen nicht gefolgt worden war. Seine damalige Antwort „Ich habe Euch das Recht gegeben, dass ich Euch zuhören muss. Entscheiden tue ich allein“ gilt heute nicht mehr. Der Dialog mit den Mitarbeitervertretungen hat hohen Stellenwert.
Motivation der Mitarbeiter
Hermann Franz hatte von einem notwendigen Kulturwandel gesprochen. Tatsächlich fand ich ein Unternehmen vor, das den eindeutigen Auftrag des Stifters, auf wirtschaftlichen Erfolg zu achten, vergaß, sobald es um Kostenanpassung oder gar Sanierung ging. Da erinnerte man sich plötzlich an einen anderen Satz des Statuts, die Unternehmen sollen sozialer sein, als es ein privates Unternehmen. Ein verführerischer Satz, auf Basis dessen die Betriebsräte schon die Sanierung der Kamerasparte in den 70-er Jahren verhindert hatten und selbst in der schweren Krise Anfang der Neunzigerjahre nur sehr zögernd Personalmaßnahmen zustimmten.
Mit der aufkommenden Diskussion einer Stiftungsreform war die Wirkung solcher Ideale der Stiftung dann unangenehm zu spüren, als Pensionsrechte zu hinterfragen waren und einige vom Stifter als unveränderlich definierte Paragrafen verändert werden sollten. Das rief insbesondere bei langjährigen Mitarbeitern starke Proteste hervor und löste Mitarbeiterbündnisse, sogar mit der Beteiligung ehemaliger Vorstände, Klagen und Gerichtsverfahren aus. Die Gewerkschaften beteiligten sich nicht, denn für sie war die Einführung der gesetzlichen Mitbestimmung entscheidend und auch die Gerichte folgten dem logischen Zwang dieser Modernisierung als zeitgemäß.
Nach den hitzigen Debatten während der Umsetzung der Stiftungsreform zeigte sich nun die positive Kultur einer Unternehmensstiftung voll und ganz. Denn selbstverständlich ist eine gute Sinngebung in Kombination mit guter Führung auch eine hohe Motivation für die Belegschaft. Die hohe Attraktivität von Carl Zeiss beispielsweise zeigte sich gerade in den letzten Jahren, dass trotz schwieriger Facharbeiter- und Akademiker-Märkte und trotz der ländlichen Lage im nordöstlichen Baden-Württemberg dort 1500 Mitarbeiter angeworben werden konnten. Die hohen sozialen Ziele der Stiftung machten dabei den einen entscheidenden Unterschied zu Mitbewerbern aus.
Pensionen – Dauerlast mit hoher Attraktivität und geringer Motivation
Eine wohl noch größere Anziehung geht vom Pensionsangebot aus. Es fördert die Anwerbung und schafft Loyalität, Firmentreue. Aber hohe Leistungsmotivation konnte ich nicht beobachten. Zu schnell wird der Anspruch zur Gewohnheit und die Zeit als Pensionär zum Ziel. Betriebsräte finden ihre Profilierungschance und auch die Vorstände konnten der Versuchung der Selbstbedienung nicht widerstehen.
Die statutarische Festlegung einer betrieblichen Altersversorgung, eines Pensionsanspruchs der Mitarbeiter war eine der Pionierideen von Ernst Abbe vor über 100 Jahren. Eine soziale Großtat, aber in der Krise wurde sie zur größten Last einer Sanierung. Die Pensionsrechte waren vorrangig geworden vor der statutarischen Pflicht der Förderung der Wissenschaft und des örtlichen Gemeinwohls. Die Statutenreform legte dann einen bilanziellen Mindestsockel an Eigenkapital und eine mit dem Gewinn korrelierte Forschungsförderung fest und begrenzte so den Spielraum für Pensionsrückstellungen. Es entstand ein neues, ausgewogeneres Gleichgewicht der Nutzung der Erträge.
Meine Erfahrungen bei Carl Zeiss lassen sich zusammenfassen in dem einen Satz: Stifter von Unternehmen halten die Motivation zur wirtschaftlichen Führung oft für selbstverständlich und konzentrierten sich primär auf Ziel und Zweck der Stiftung. Sinnstiftung und die Egoismen um Arbeitsplatzerhalt, Einkommen und Pensionen aber sind Antipoden, die in jedem Statut einer Unternehmensstiftung ausgewogen und weitblickend beachtet werden sollten. Denn die sind es, von denen die Gefahr um den Fortbestand des Unternehmens ausgeht.