Kennen Sie #Exxonknews? Es ist der Newsletter von Exxonknew, dessen Wortspiel im Namen schon auf das Ziel hindeutet: das frühe Wissen um die Gefahren des Klimawandels bei Exxon, der Muttergesellschaft von Esso, bewusst zu machen – und vor allem dessen breit organisierte Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit zur Verunsicherung über die Aussagen der Wissenschaft und deren Warnungen.
Die Schlagzeile auf der #Exxonknew-Webseite ist ein harter Vorwurf (1) : Exxon wusste schon vor einem halben Jahrhundert über den Klimawandel. Sie betrogen die Öffentlichkeit, belogen ihre Aktionäre und stahlen der Menschheit die Zeit einer ganzen Generation, um den Klimawandel zu stoppen.
Das ist alles mit Literaturstellen zu wissenschaftlichen Aussagen belegt, im Grunde alles auch bei uns bekannt. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied: Die Berichte von Exxonknew zeigen einen im Vergleich zu Europa anderen Schwerpunkt der Anti-Klimabewegung. Bei uns ist das (oft fehlende) Handeln der Politik das zentrale Thema, teils in Demostationen, teils auch in Gerichten eingefordert (2) . In den USA dagegen liegt der Schwerpunkt der Gerichtsverfahren bei der Haftbarmachung der für den Klimawandel verantwortlichen Firmen, allen voran den großen Öl-Konzernen. Denn die erhielten die ersten Warnhinweise in den 80-er Jahren. Es gibt viele Veröffentlichungen dazu, mit zu geringem Bekanntheitsgrad – wohl, weil für die großen Medienunternehmen, die Energiekonzerne wichtige Kunden sind. Dies, obwohl Greenpeace und andere diese langjährige Lobbyarbeit der Konzerne gut dokumentiert haben (3). In den 90-er-Jahren konsequent aufgegriffen, hätte man den Klimawandel noch stoppen können. Der politische Wille war zunächst da. Es ist in der Fachwelt unbestritten, dass es diese damals aufwändig finanzierte Lobby- Arbeit dieses Öl-Kartells war, die diesen politischen und teils auch öffentlichen Willen zur raschen Carbon-Reduzierung gestoppt hat – und damit dem Klimawandel freien Lauf ließ (4).
Wer haftet für die Schäden?
Bei solch schwerem Verschulden stellt sich nun – da es für ein wirkliches Stoppen des Klimawandels zu spät ist – die Frage der Haftung und damit einer Schadenersatzpflicht. Diesen Weg gehen nun viele Gruppen von Klimaaktivisten und auch viele Kommunen und Regionen der USA und Exxonknew dokumentiert diese vielen Anstrengungen. Der US-Radio- und Fernsehsender CBS listete kürzlich 14 Millionenstädte und fünf Bundesstaaten auf, die durch den Meereswasser-Anstieg und die Zunahme von Extremereignissen betroffen sind, bereits heute enorme Kosten haben und noch höhere Kosten erwarten. Fast alle gehen nun gerichtlich gegen Exxon und auch Shell und BP vor und klagen auf Schadensersatz und Kostenbeteiligung. Darunter die Millionenstädte New York, Baltimore, Washington und San Francisco und die Bundesstaaten Massachusetts, Rhode Island, Connecticut, Delaware und Vermont. Minnesota und Boulder klagen wiederum wegen der enormen Zunahme der Trockenheit und der Zahl der Waldbrände (5).
Es gibt erste Erfolge der Kläger, aber für diese Prozesse sind von den Konzernen die besten Anwälte der Welt und auch willige Gutachter zur Verteidigung verpflichtet worden. Urteile werden dauern – und die Berufungen auch. Aber es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Die Warnungen des Weltklimarates werden immer deutlicher. Schon das 1,5°-Ziel ist kaum mehr haltbar – und schon das wird viele Regionen der Welt durch Hitze und durch häufiger werdende Extremereignisse unbewohnbar machen. Schon in diesem Jahrhundert wird für Mitteleuropa eine mittlere Erwärmung von 12° vorhergesagt – und weltweit starke Veränderungen der Küstenlinien durch den steigenden Meeresspiegel (6). Die Zeit drängt.
Zeit für den Boykott der großen Ölkonzerne
Diese Sachlage schiebt nicht nur die Frage der Haftung, sondern der Schadensbegrenzung in den Vordergrund. Zwar bauen die (weltweiten) Prozesse, ergänzt durch Anhörungen u.a. im US-Kongress und auch die öffentliche Meinung zunehmend Druck in den Öl-Konzernen auf, den Klimawandel ernster zu nehmen und sich der Umstellung auf eine emissionsfreie Energieversorgung zu stellen. Bisher aber hat keine der großen Ölfirmen ihre Geschäftspolitik konsequent geändert, auch wenn dies in deren Werbung und Öffentlichkeitsarbeit immer wieder behauptet wird.
Bei dieser Sachlage ist es angebracht, einen Boykott der großen Ölkonzerne einzufordern, bei Schonung der Firmen, die erkennbar am meisten für die grüne Transformation tun. Beispielsweise sind die Unterschiede zwischen Exxon, die fast nichts für erneuerbare Energien tun, und BP oder Shell durchaus beachtlich. Aber auch diese beiden tun bei weitem noch nicht das Mögliche, nicht das, was eigentlich eingefordert werden muss. Firmen reagieren empfindlich, wenn der Markt, also die Kundschaft, das aktuelle Geschäftsmodell ablehnt und Umsätze und gute Preise wegbrechen. So betrachtet, wäre ein Ölembargo der öffentlichen Hand und ein Ölboykott der privaten Kundschaft und der Großverbraucher der Wirtschaft nicht nur nötig gewesen gegen russisches Öl und Gas, sondern generell gegen alle Konzerne, die fossile Energie noch immer zum Schwerpunkt ihres Geschäftes machen.
Am Schluss ist in einer Marktwirtschaft der Kunde der stärkste. Und Boykott wird zum wirklich scharfen Instrument, wenn er alle Kundengruppen umfasst, also nicht nur den klassischen Konsumenten, sondern auch die Beschaffer der öffentlichen Hand, der Immobilienwirtschaft und der übrigen Wirtschaft. Das wäre der Zwang, der die Geschäftsleitungen der Konzerne einknicken lässt. Das kann nicht heißen, dass wir sofort auf Öl und Gas verzichten müssten. Aber es kann heißen, dass wir unter diesem Aspekt auswählen und so mithelfen, dass sich der Schwerpunkt der Investitionen und der Öffentlichkeitsarbeit dieser Firmen verschiebt.
Die Zivilgesellschaft ist gefordert
Dieser Boykott kommt nicht von selbst. Die entsprechende Bewusstseinsbildung muss von den Klimaaktivisten kommen und alle diese Kundenkreise der Ölindustrie ansprechen. Gerade der öffentliche Auftraggeber hat mit seinen Ausschreibungen für den enormen Energiebedarf der staatlichen Einrichtungen und unserer Infrastruktur einen riesigen Hebel und auch die großen Investoren und Vermögensverwaltungen können fordern – und viele tun das ja bereits. Einfache und von vielen Bürgern unterstützte politische Entscheidungen, wie ein deutsches Tempolimit, müssten unverzüglich umgesetzt werden.
Zuallererst geht es um den Stopp von Investitionen in die Exploration neuer Öl- und Gasvorkommen und die Umlenkung der Mittel in die Innovationsprogramme zur Erzeugung nachhaltiger Energien und den Einsatz (fast) aller Forschungsmittel der Firmen für die Erschließung und Optimierung dieser neuen Technologien. Dazu angepasste Werbemaßnahmen und die Kompensation der von den verkauften Produkten freigesetzten Emissionsmengen, also ein Geschäftsmodell, das alle verfügbaren Ressourcen auf die Umstellung hin zu Erneuerbaren Energien und Vermeidung fossiler Emissionen ausrichtet.
Ein Boykott allerdings braucht Bewusstmachen der Schuld. Das ist eine Aufgabe der Medien und der Zivilgesellschaft. Dazu beitragen kann die Beurteilung der Nachhaltigkeit von Unternehmen durch Banken, Vermögensverwaltungen und Nachhaltigkeitsgremien als Grundlage für die Ziele der NGOs und der Aktivisten. Gemeinsam müssen wir die Schuldigen haftbar machen, nun zur aktiven Verbesserung der Situation beizutragen. Ohne einen konsequenten Schwenk nicht nur der Politik, sondern auch der Geschäftsmodelle der Energieversorger werden wir den Klimawandel nicht stoppen.
- https://exxonknew.org/
- https://www.ipg-journal.de/rubriken/wirtschaft-und-oekologie/artikel/das-klima-urteil-des- bundesverfassungsgerichts-5162/
- https://www.greenpeace.org/usa/fighting-climate-chaos/exxon-and-the-oil-industry-knew-about-climate-crisis/exxons-climate-denial-history-a-timeline/ https://www.spiegel.de/wissenschaft/klimakrise-die-welt-ist-sehenden-auges-in-die-misere-gestolpert-warum-a-27e848c3-eac8-49ed-9ee0-686aaabe5423
- P. Grassmann, Zähmt die Wirtschaft! Westend-Verlag, S. 28 bis 45
- https://www.cbsnews.com/news/climate-change-disinformation-suing-fossil-fuel-companies/
- https://www.youtube.com/watch?v=k7Gg8LV4CU8
P. Grassmann