Die Aufregung über die Umbenennung eines „Bismarck-Raums“ im Außenamt ist groß. Dabei herrscht bei den Kritikern fehlende Geschichtskenntnis. Warum der Preuße nicht als Vorbild taugt.
Es ist so angenehm, wenn eine Politikerin durch überlegene Kompetenz überzeugt. Das jedenfalls gelang Annalena Baerbock, als sie den Bismarck-Raum im Auswärtigen Amt umbenennen und auch sich auch nicht von der reichlichen Kritik aus dem Berliner Umfeld abbringen ließ. Denn kaum ein verehrter Politiker ist so janusköpfig wie Bismarck.
Grenzverschiebung mit Eisen und Blut
Zwar gelangen Bismarck wichtige Sozial- und Rechtsstaats-Reformen, aber Bismarck ist auch der Vater des großen Bruderkriegs, des Deutschen Krieges. Denn er wollte ein Deutschland unter preußischer Führung, einschließlich Bayern, Baden und Württemberg, wohl in Abstimmung mit dem preußischen König.
Das Parlament verweigerte aber die Mittel für eine militärische Aufrüstung, Anlass für Bismarcks berühmte Blut-und-Eisen-Rede, in der er unmissverständlich Grenzverschiebungen zugunsten Preußens und die Eingliederung von Bayern, Württemberg und Baden mit militärischen Mitteln forderte.
Da ihm das Parlament die Zustimmung zur notwendigen Aufrüstung aber trotz – oder vielleicht gerade wegen – dieser markigen Rede verweigerte, fand er schließlich eine Verfassungslücke für ein Sonderbudget und rüstete ohne Zustimmung des Parlaments auf.
Ein gerade aus aktueller Sicht wahrlich erschütternder Vorgang, der allein schon genügt, ein nach Bismarck benanntes Besprechungsraum umzubenennen.
Der vergessene Bruderkrieg
Diese Aufrüstung war dann die Voraussetzung für seinen Krieg gegen den nach Preußens Austritt verkleinerten Deutschen Bund, mit dem ab 1850 ein Einigungsprozess begonnen hatte.
Es war zwar primär ein Krieg gegen das mächtige Österreich, aber den Verträgen des Deutschen Bundes entsprechend stand Bayern in der Bündnispflicht. Dieser Bruderkrieg endete nach der Schlacht bei Königgrätz mit einem Sieg Preußens.
Es war ein Blutbad, das mehr als 100.000 Soldaten das Leben kostete. Für Ludwig II., friedliebend und oft missverstandener König in Bayern war dieser Kampf gegen Preußen besonders bitter, war doch seine Mutter eine preußische Prinzessin.
Preußens Sieg bei Kissingen
Mit dem Sieg Preußens – genauer des Norddeutschen Bundes – war zwar Österreich besiegt, aber Bayern noch kein Teil eines Deutschen Reichs nach Bismarcks Vorstellungen. Seine Truppen marschierten daraufhin in Bayern ein.
Nach etlichen kleineren Scharmützeln wurde das wesentlich schwächere bayerische Heer bei Kissingen entscheidend geschlagen. Nun konnte Bismarck Bayerns Anschluss an den preußischen Staatenbund erzwingen, übrigens gegen die mehrheitliche Meinung der bayerischen Bevölkerung.
Schon wenige Jahre danach – 1870 – war dann Bayern verpflichtet, Bismarcks neueste Kriegsidee, den Krieg gegen Frankreich zu unterstützen. Wieder war dies eine bitterschwere Entscheidung für Ludwig II., denn Frankreich war die von ihm verehrte Nation, ganz anders als das naturgemäß nicht geliebte Preußen, das Bayern nun unterstützen musste.
Nach dem Sieg 1871 musste Ludwig II. und der Bayerische Landtag schließlich noch dem Anschluss an Preußen zustimmen, verbunden mit der Ernennung des Königs von Preußen zum Kaiser.
Die Unterzeichnung der Verträge und die anschließende Krönung in Versailles (!) erfolgten, während das Landtag noch über diesen Anschluss debattierte – und viele ein kriegerisches Ende vorhersagten.
Es ist erschreckend, wie wenig diese dunkle Seite des undemokratischen Machtmenschen Bismarck verdrängt wird. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz täte gut daran, sich endlich diesen und auch einigen anderen dunklen Seiten des preußischen Kulturguts zu öffnen.
Dass ein Großteil der Presse diese allgemein bekannten geschichtlichen Zusammenhänge offensichtlich nicht kennt, ist die Konsequenz. Erschreckend dabei ist, wie eine geschichtlich vermutlich bestens informierte Politikerin mit Häme über „fehlende Geschichtskenntnis“ überzogen wird – und ihre aus Bayern stammende Parteikollegin Claudia Roth gleich mit.